Er hatte keine
Zeit mehr. Von der Decke rieselnder Putz erinnerte ihn immer wieder daran,
während das Dröhnen unablässig durch die Hallen vibrierte. Das Quiecken und
Schreien der Diener war zu hören, als sie hektisch ihre letzten Befehle ausführten.
Noch immer strömten sie aus den dunklen Tunneln, bewaffnet nur mit ihrem
blanken Hass. Doch seine Krieger waren nutzlos geworden. Also konnte er sie
genauso gut für etwas wichtiges verwenden. Sie mussten ihm Zeit erkaufen.
Hektisch blätterte er in dem dicken Buch, welches er über die Jahrhunderte
selbst erweitert, verbessert und ergänzt hatte. Fast ehrfürchtig berührte er
die Seiten, während gemurmelte Worte über seine Lippen kamen. So lange hatte er
auf diesen Moment gewartet. Anfangs waren die Forschungen ein Zeitvertreib
geworden. Doch die Welt hatte sich gewandelt, geformt und ihm nichts als
Feindschaft beschert. Seine Verbündeten waren gefallen, einer nach dem Anderem.
Und jetzt? Jetzt gab es nur noch ihn und die unendlichen Brutstätten, die noch
vor 50 Zyklen jedes Lebewesen auf der Welt hatten erzittern lassen. Was waren
sie heute noch wert?
Vor den Türen konnte man inzwischen das Scheppern von schwerem Metall
vernehmen. Es waren hunderte, die sich einen blutigen Pfad durch die
bereitwillig kämpfenden Diener schlugen. Ihre Waffen, Schreie und Befehle
hallten in seinen Ohren wieder. Er hasste diese Wesen, die sich durch die Flure
voranschoben. Bögen, Schwerter und Lanzen erhoben.
Mit der letzten Ruhe, die sein Körper noch empfinden konnte, sprach er die
vollendenden Silben aus.
Es war ein Liedschlag, in dem nichts passierte. Doch dann kam sie. Kraft,
unendliche Kraft. Altes Wissen, welches sich ihren Weg zurück in diese Welt
bahnte. Lange verbannte Künste, die aus ihrem Winterschlaf erwachten. Es war
gelungen. Das Tor erschaffen.
Hell wie der
strahlendste Tag vibrierte es vor ihm in der Luft, wie ferne Objekte in den
heißesten Stunden. Es bildete einen fast perfekten Kreis, der den milchigen
Blick in eine mysteriöse Welt feilbot. Es war ein kleiner, weißer Raum ohne
Lebewesen. Doch in der Ferne konnte er sie sehen. Es waren unzählige Schatten,
die nur auf ihn warteten. Er hatte für neue Untertanen gebetet. Und seine
Wünsche waren erhört worden. Schnell schickte er die letzten ihm verbliebenen
Diener durch das wabernde Himmelsgebilde und hörte dabei das brechen der dicken
Holztüren hinter sich.
Schreie und triumphierende Rufe drangen an sein Ohr, als er seinen letzten
Anhängern durch das Tor hindurch folgte. Er würde wiederkommen. Und
schreckliche Rache nehmen!
Die Straßen
waren wie stets viel zu voll. Das so viele Menschen in eine einzige Stadt
passen konnten, war für Steven auch nach 15 Jahren im Dienst noch immer ein
Rätsel. Genauso, wie es möglich war, dass er kein Kilo Gewicht verlor! Jeden
Tag, von 8 bis 6 war er auf den Straßen, lief auf ihnen hoch und wieder
hinunter. Machte seine Runden und rannte hin und wieder sogar irgendwelchem
Abschaum hinterher. Und doch war es so, dass er Abends in der Dusche an sich
hinunter blickte, und dabei nur ahnen konnte, was zwischen seinen Beinen los
war. Es war einfach frustrierend.
Er seufzte und lehnte sich gegen einen der roten Briefkästen, die inzwischen
jedoch immer seltener wurden. Seine Frau hatte mal erzählt, dass es das
Internet war, was die Briefe immer mehr verdrängte. Steven vermutete jedoch,
dass es mehr die Dummheit der jüngeren Generationen war, die es einfach nicht für
wichtig hielt, zu schreiben.
Was auch immer es war. Es war auf jeden Fall schade. Er wollte einfach nicht
ein schwarzes Hackbrett in die Luft halten und dabei wie ein Affe auf die
Mattscheibe starren. Verdammt nochmal! Was sprach gegen ein gutes Buch, was
einem die langen Nächte versüßte, bis man endlich einschlief?
Steven zog sich seine Mütze vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der
Stirn. Die Blicke der vorbeiziehenden Passanten störten ihn schon lange nicht
mehr. Sollten sie doch über das Klischee lachen! Fetter Cop. Sehr lustig!
Er kramte in seiner Hose herum, um etwas Kleingeld für einen Snack zu finden,
als er plötzlich einen Schrei hörte, der aus einer Querstraße nicht weit
entfernt erklang. Steven rannte los.
Es war
interessant zu sehen, wie die Diener über die Verkaufsstände dieser komischen
Wesen herfielen. Ausgehungert schnappten sich die vierbeinigen, muskulösen Wesen
alles, was ihnen dienlich erschien. Besonders versessen waren sie dabei auf
seltsame, längliche Stäbe, die in einer Art Brot zu stecken schienen. Immer
wieder griffen sie gierig in diesen komischen Verkaufsladen, der auf Rädern
durch die Gegend geschoben werden konnte. Etwas abseits davon stand ein lustig
aussehendes Geschöpf.
Es war etwas kleiner als er selbst, aber deutlich höher gewachsen als die
Diener. Fast wirkte es wie ein Mitglied des hochgeborenen Volkes. Doch nur
fast. Es fehlt ihm die passende Anmut. Dieses … Ding, es wirkte eher wie ein
Zwitter aus Bergvolk und Baumreich.
So streckten sich zwei Arme und zwei Beine aus einem Rumpf, fähig aufrecht zu
gehen. Scheinbar war das Wesen intelligent. Zumindest deutete es immer wieder auf
die Diener, die über den Stand herfielen. Es schien aufgebracht. Doch die
Sprache war nicht zu verstehen. Vermutlich war es neidisch, eine so
wohlgeborene Brut sein eigen nennen zu dürfen. Er verstand es und nickte dem
seltsamen Wesen zu.
Die Szene war
mehr als verstörend, als Steven schließlich keuchend um die Ecke bog. Zuerst
wusste er nicht, was vor ihm geschah. Es sah fast so aus, als hätte eine Herde
Affen einen Hotdog-Verkäufer überfallen und ausgeplündert.
Nein. Das waren keine Affen. Steven sah genauer hin und entdeckte ein weiteres
paar Beine! Wie ein Hund oder ein Pferde standen diese Dinger auf vier Beinen!
Und dazu hatten sie gewaltige, muskulöse Arme. Die benutzten diese komischen
Dinger, um mühelos die dünne Aluminiumhülle des Verkaufswagens auseinander zu
biegen, um an das Essen dahinter zu kommen. Der Verkäufer, ein Mann der
höchstwahrscheinlich aus Osteuropa stammte, schrie einen Kerl in einem langen
Mantel und weiter Kapuze wütend an. Als er jedoch den Polizisten sah, wand er
sich an Steven.
»Tun sie was! Die Kids beklauen mich! Der da«, der
Verkäufer zeigte auf den Mantelträger »ist Anführer!«
Steven machte eine rasche Handbewegung, mit der er dem Verkäufer bedeuten
wollte, sich zu beruhigen. Der schnappte kurz nach Luft und verschränkte
anschließend seine Arme vor der Brust. So als wolle er abwarten, was der
Ordnungshüter nun anstellen wollte.
Der dicke Polizist bewertete das nur mit einem knappen Schnauben und griff
anschließend an sein Funkgerät, um Hilfe anzufordern. Was auch immer das hier
war, er würde es nicht allein geregelt bekommen.
Steven sah zu den Affen … Dingern. Vielleicht sollte er auch noch einen
Tierfänger rufen.
Ein weiteres Wesen kam, um ihn zu begrüßen. Es war offensichtlich,
dass es mit dem Ersten verwandt war. Auch wenn die Ähnlichkeit nicht sofort
auffiel. Vielmehr war das Zweite massiv, groß und gut genährt. Dazu trug es
eine schwarze Kleidung, die sehr wie eine militärische Uniform aussah. Das war
interessant. Ganz offensichtlich hatten die Stämme dieser Welt bereits ein Ordnungssystem
eingeführt. Das war erfreulich. Es ersparte Arbeit.
Das große Orching, er hatte angefangen sie so zu nennen, kam näher. Seine
Bewegungen waren langsam, bedacht und wirkten kontrolliert. Ja, fast gehemmt.
Aber er konnte sich auch täuschen. Vielleicht war das bei den Orching normal?
Er brauchte einen besseren Namen für diese Dinger.
»Ganz ruhig Kumpel …« Steven
ging langsam auf den komischen Kauz zu, dessen Gesicht noch immer unter dieser
lächerlich weiten Kapuze versteckt war. Der Typ konnte ihn doch nicht einmal
sehen!
»Du und eine Freunde. Ihr
hört jetzt auf mit dem Quatsch und gebt mir eure Personalien!« Steven
deutete auf die Affendinger, die inzwischen aufgehört hatten über den Wagen
herzufallen. Stattdessen standen sie auf ihren vier Pfoten und warteten ab. So
konnte der Polizist einen kurzen Blick auf sie werfen. Dabei suchte er nach
Reisverschlüssen oder anderen Einstiegshilfen.
Aber … diese Kostüme waren wirklich toll gemacht. Bestimmt waren das
irgendwelche Spinner vom Fernsehen, die für viel Geld wieder eine »Verarsch-die-Leute-Show«
produzierten. Wie er sowas hasste!
Ganz
offensichtlich war das Wesen ein Clanherr. Seine Stimme war deutlich und nicht
so schwankend wie die des ersten Trolls …
Nein, der Name gefiel ihm auch nicht. Zwar hatten diese Dinger eine gewisse
Ähnlichkeit mit den vor langer Zeit ausgerotteten Trollen. Das konnte niemand
abstreiten. Doch ihre Arme waren zu kurz. Und ihr Geruch deutlich angenehmer.
Das Ding war inzwischen langsam näher gekommen. Argwöhnisch betrachtete es die
Diener, die einen vertrauten Gesichtsausdruck machten. Sie hatten schon wieder
Hunger.
Das leise
Knurren dieser Dinger ließ Steven immer mehr daran zweifeln, dass es sich bei
ihnen um mehrere Liliputaner in einem Kostüm handelte. Vielmehr wirkten sie
inzwischen wie Hunde. Einfach unheimlich.
Die Finger seiner rechten Hand wanderten an den Holster der schwarzen Pistole an
seinem Gurt, während er einen weiteren Schritt nach vorne machte. Mit einer
energischen Geste deutete er auf den Kapuzenträger.
»Das ist nicht mehr lustig! Habt ihr hierfür überhaupt eine
Genehmigung?! Ihr Freaks lasst diesen Bullshit und zeigt mir jetzt eure
Ausweise! Sofort!«
»Genau! Und dann bezahlt ihr mir meinen …« Der Händler, von Stevens Worten
ermutigt, machte einen Schritt nach vorne. Wütend deutete er auf seinen
demolierten Hotdog-Stand. Doch damit erweckte er auch das Interesse der
komischen Affenwesen. Sie sprangen auf und rannten. Einen Augenblick später
stürzten sich bereits auf den Verkäufer und das Chaos brach aus.
Dumme, gierige Wesen! Sie versauten ihm noch seinen ganzen Auftritt!
Naja … Eigentlich war es auch irgendwie seine Schuld. Die Diener waren, was sie
waren. Er hatte sie immerhin so geschaffen. Warum also ärgern? Und wen kümmerte
es, dass einer der Unteren dieser komischen Orklinge – ja, das klang gut –
Orklinge als Futter diente. Von ihnen gab es wohl genug. In der Ferne waren
ganze Scharen dieser Wesen zu finden. Wen kümmerte es, was mit einem von ihnen
geschah? Auch wenn seine Schreie fürchterlich wehleidig klangen. Fast wie Vieh,
welches in die Gruben geworfen wurde.
Er breitete seine Arme aus und umklammerte seinen Stab fester, mit dem er nun
zweimal fest auf den Boden klopfte. Dann sah er zu dem Clanführer, der zitternd
dastand und mit einem schwarzen Kasten auf ihn deutete. Offensichtlich hatte
ihn das Geschehen erregt. Zogen diese Wesen sexuelle Stimulation aus Gewalt?
Wie wunderbar! Diese Welt war wirklich genau das, was er sich erhofft hatte!
Er ging auf den Clanführer zu und schlug im gehen seine Kapuze zurück.
»Begrüße deinen neuen Herren!«
Steven schrie laut auf, als er den eingefallenen, blassen Schädel sah.
Eine ganz dünne Hautschicht klebte an ihm und einige strähnige Haare hingen
fast willkürlich auf dem unförmigen Schädel. Die Augen waren nicht mehr als
zwei schwarze Löcher, die jedes Licht zu verzehren schienen. Es war schlimmer
als jeder Horrorfilm!
»Fuck! Bleib stehen du Wichser!« Er umklammerte den Griff der Pistole
immer fester und versuchte sich auf sein Training zu konzentrieren. Es fiel ihm
schwer, da im Hintergrund das schwache Gurgeln des Ladenverkäufers zu hören
war, auf dem noch immer diese seltsamen Affen saßen. Wo blieb nur die
Verstärkung?!
»Kniee und huldige
mir, denn ich der Herr!« Er ging weiter auf den Orkling zu. Dabei
ergötzte ihn der fast schon geile Blick dieses Wesen, der immer wieder von den
Dienern zu ihm zurück zuckte. Noch nie war er so begrüßt worden! Es war fast so
als …
Steven schoss. Laut peitschte das Geräusch der Waffe durch die Gasse
und ließ die Passanten neugierig zu ihnen herüberblicken. Doch der Polizist
hatte kein Auge für sie. Er war komplett auf den skelettartigen Typen
konzentriert, der nun schwankend stehen geblieben war. Seine langen Finger
tasteten über eine Stelle des dunklen Mantels. Offensichtlich war er getroffen
worden, auch wenn Steven nichts erkennen konnte. Er schrie erneut.
»Auf den Boden du Motherfucker! Und ruf deine Affen zurück!«
Erstaunt sah er zu dem Clanführer und seiner kleinen Waffe. Es war nun
offensichtlich, dass das schwarze Objekt ein Kriegsgerät war. Er hatte nicht
gesehen was passiert war, aber eines war klar: Irgendetwas hatte ihn getroffen.
Er knurrte böse. Diesem Insekt fehlte es an der nötigen Disziplin!
Er erhob seinen Stab und beschwor einen Strom aus Feuer in seiner linken Hand.
»Auf den Boden du
Bastard!« Steven schüttelte verzweifelt den Kopf, als er diesen Typ
betrachtete:
Wild mit den Armen wedelnd hob er seinen Stab über den Kopf und zischte dabei
wie eine Schlange. Es schien wie ein Ritual, welches damit endete, dass einer
der langen Finger auf Steven deutete. Er machte einen Schritt zurück und sah
dabei kurz zu den Affenmonstern. Sie hatten inzwischen von dem Verkäufer
abgelassen und kamen langsam auf ihn zu. Ihre Arme und Mäuler waren Blutverschmiert.
Und hunderte Zähne blitzten bedrohlich auf. Verzweifelt rief Steven um Hilfe,
während der Verrückte vor ihm zu tanzen schien.
Verzweifelt versuchte er seine Macht zu kanalisieren, sie mit den
Energieströmen dieser Welt zu vereinen … Doch es brachte nichts. Es fühlte sich
an, als würde er versuchen einen Felsen zu melken. Diese Welt … sie war leblos!
Ohne jeden Funken und Magie! Ausgedörrt, wie ein Leichnam in den trockensten
Wüsten!
Er betastete seine Wunde, die schrecklich brannte und all seine Energie
verbrauchte. Er würde sie nicht heilen können! Er … hatte nur seinen Stab.
Steven schoss wieder. Diesmal waren es drei Patronen die in kurzen
Abständen auf den Verrückten niedergingen. Sie waren nicht dafür gedacht, den
Mann zu behindern. Nein. Vielmehr war ihr Sinn, den Verrückten aufzuhalten, der
sich kreischend auf ihn stürzen wollte.
Der Typ kam keine zwei Meter weit, bevor er leblos zusammensackte und den
Polizisten keuchend zurückließ. Steven hatte noch nie einen Menschen
erschossen. Es war schrecklich.
Doch er hatte keine Zeit zu trauern. Wild schreiend stürzten sich die
Affenmonster auf ihn, darauf aus, ihren Freund zu rächen.